Bei unserem 6-jährigen Sohn wurde ein bösartiger Tumor hinter den Augen entdeckt, der sofort und intensiv behandelt werden musste. Unser Leben hat sich von einem Tag auf den anderen komplett verändert. Das ist unsere Geschichte.
Wie alles anfing
Am Mittwoch, den 1. November 2023 wurden wir von unserer Kinderärztin für ein MRI ins Kinderspital Zürich überwiesen. Der Grund dafür waren unklare Symptome. Finn – das ist nicht sein richtiger Name – war traurig, dass er nicht an die Halloween-Party gehen konnte, zu der er eingeladen war.
Das MRI verlief nicht ganz wie geplant. Finn hatte Mühe mit dem Atmen, hatte Schmerzen und konnte nicht still liegen. Die Ärzte verschoben das MRI auf den nächsten Tag und wollten unter Narkose zudem eine Gewebeprobe entnehmen (Biopsie), da sie auf den ersten MRI-Bildern etwas im Kopf gesehen hatten. Viel mehr sagten uns die Ärzte nicht.
Am nächsten Tag stand ein lang ersehnter Termin in der Agenda: Die Eigentumsübertragung für ein 70-jähriges Haus, das wir umbauen wollten. Nie hätten wir damit gerechnet, dass unser Leben noch am selben Abend eine ganz andere Wendung nehmen würde.
Ein faustgrosser Tumor im Kopf
Finns Grossvater leistete unserem Sohn im Spital Gesellschaft, während wir Eltern an der Eigentumsübertragung waren. Mein Mann ging danach wieder arbeiten und ich zurück ins Spital, wo am Nachmittag das MRI und die Biopsie bei Finn gemacht wurden. Am Abend dann die Diagnose: bösartiger Tumor. Wir fielen in ein dunkles, tiefes Loch. Der Tumor war so gross wie die Faust eines erwachsenen Mannes – und das im Kopf unseres knapp 6-jährigen Kindes! Er wuchs im Nasopharynx-Bereich, also im Hohlraum hinter den Augen bis hinunter zum Gaumen, und füllte diesen praktisch aus. Operieren käme aufgrund der Lokalisation nicht in Frage, sagten uns die Ärzte. Zudem müssten sie zuerst das Ergebnis der Biopsie abwarten, bevor Finn mit einer Behandlung beginnen könne. Das Warten auf die Ergebnisse fühlte sich endlos an und war mitunter das Schlimmste für uns.
Finn erblindet auf einem Auge
Nach dem MRI hatte man uns gesagt, Finns Augen und das Gehirn seien nicht in Gefahr. Doch das eine Auge unseres Sohnes schwoll von Tag zu Tag mehr an, bis er es nicht mehr öffnen konnte. Nur drei Tage nach der Diagnose stellten wir fest, dass Finn auf diesem Auge komplett erblindet war. Die Ärztin schickte uns direkt zur Augen-Notfallstation des Unispitals. Die Notfallärztin sah sich die MRI-Bilder und Finns Sehnerven an. Mit Tränen in den Augen fasste sie mir an die Schulter und sagte, sie hole jetzt den Oberarzt. Die Ärzte sagten uns, der Tumor habe den Sehnerv des einen Auges zerdrückt und unwiderruflich geschädigt. Er sei ausserdem bereits um den Sehnerv des anderen Auges gewachsen.
Eine riskante Operation
Finn musste sofort operiert werden, um wenigstens ein Auge zu retten. Der Professor kam dafür extra von seinem Feierabend am Samstag zurück ins Unispital. Da niemand wusste, um welchen Tumor es sich handelte, war der Eingriff sehr riskant und schwierig, auch aufgrund der Lokalisation. Uns wurde gesagt, dass man mit dieser Operation auf keinen Fall Finns Leben riskieren würde, «nur» um sein Augenlicht zu retten. Im schlimmsten Fall müssten sie den Eingriff abbrechen. Wir mussten lange warten. Spät in der Nacht kamen der Professor und seine Kollegen zu uns. Sie teilten uns voller Freude mit, dass sie 60 Prozent des Tumors entfernen konnten und der zweite Sehnerv nicht mehr in Gefahr sei. Wir waren voller Hoffnung.
Die Schockdiagnose
Am nächsten Tag wurde Finn auf die onkologische Abteilung des Kinderspitals Zürich verlegt. Wenige Tage später folgte das nächste MRI, mit einem schrecklichen Ergebnis: Der Tumor ist wieder gewachsen! Alles ist wieder da, genau wie vor der Operation, und der gesunde Sehnerv ist wieder in Gefahr. Zusätzlich hat der Tumor unterdessen Knochen an der Schädelbasis und am oberen Ende der Wirbelsäule beschädigt. Die Ärzte hatten das Ergebnis der Biopsie noch nicht erhalten, hegten jedoch einen Verdacht. Da sich der Tumor jeden Tag zu verdoppeln schien, begannen wir am nächsten Tag mit der Chemotherapie. Der Arzt sass neben Finns Bett, als die erste Chemo lief und sagte: «Jetzt hoffen wir, dass diese Therapie wirkt.»
Weihnachten zu Hause
Das sehende Auge wurde stündlich kontrolliert, auch nachts – eine Tortur für Finn. Doch ein paar Tage später brachte das nächste MRI endlich gute Nachrichten! Der Tumor ist zurückgegangen. Die Chemo hat gewirkt! Das Ergebnis der Biopsie war nun auch da: Finn hatte ein Rhabdomyosarkom, einen sehr seltenen und noch dazu extrem bösartigen Tumor.
Die Chemotherapie wirkte Wunder! Finn wurde Tag für Tag fitter und wir waren sehr froh, dass wir Weihnachten zu Hause verbringen konnten. Zwar waren wir isoliert, aber dafür die ganze Familie zusammen!
Zwischen Spital und Baustelle
Die vielen Chemotherapien schwächten das Immunsystem unseres Sohnes stark. Er musste oft mit Fieber ins Kinderspital. Meistens lebten wir isoliert, Freunde und Familie trafen wir nur draussen.
Zu diesen Schwierigkeiten kam hinzu, dass wir eben erst ein Haus gekauft hatten. Unser erster Impuls nach der Diagnose war, das Haus gleich wieder zu verkaufen. Denn wie sollte das gehen: Diese Diagnose, Spital, ein Haus umbauen, umziehen, überleben? Aber wir hatten unsere Wohnung bereits auf Ende Dezember gekündigt und einen Nachmieter gefunden. Zum Glück konnten wir den Umzugstermin auf Ende Januar verschieben. Mein Mann pendelte zwischen Arbeit, Spital und Baustelle. Er löste mich oft über Nacht im Spital ab, damit ich wenigstens abends und nachts bei unserer jüngeren Tochter sein konnte.
Dank vielen grossartigen Helferinnen und Helfern, die mit Masken und desinfizierten Händen zum Umbauen und Zügeln kamen, haben wir es geschafft! Wir konnten Ende Januar in ein bewohnbares Haus ziehen.
Intensive Chemo, intensive Bestrahlung
Die Intensiv-Chemo dauerte insgesamt 25 Wochen, bis Ende April 2024. Mitte Februar starteten wir ausserdem mit der Bestrahlung im Paul Scherrer Institut in Villigen. Leider kam hier der nächste Schock. Da dieser Tumor so aggressiv ist, sagten uns die Ärzte, sie müssten einen Sicherheitsabstand nehmen und auch gesundes Gewebe bestrahlen. Und zwar überall dort, wo der Tumor in Kontakt war, also auch beim gesunden Sehnerv. Niemand weiss, wie hoch die Gefahr ist, dass dieser Sehnerv durch die Bestrahlung beschädigt wird. Solche und andere gravierende Spätfolgen können leider auch erst Jahre nach der Behandlung eintreten. Da es aber ohne Bestrahlung keine Heilungschancen gäbe, hatten wir keine andere Wahl.
Die Bestrahlung dauerte fünfeinhalb Wochen. Während dieser Zeit waren wir jeden Montag bis Freitag in Villigen für die Bestrahlung und fast immer von Freitagnachmittag bis Sonntag für die Chemo im Kispi.
Wohltuender Austausch
Weil das Rhabdomyosarkom so selten ist, ist es enorm schwierig, sich mit anderen Betroffenen zu vernetzen. Eines Nachts im Spital entdeckte ich das Magazin der Stiftung Sonnenschein. Danach las ich noch weiter auf deren Homepage und stiess auf einen Tagebucheintrag einer Familie, die über das Rhabdomyosarkom erzählte. Am nächsten Tag schrieb ich der Stiftung Sonnenschein und fragte nach der Nummer dieser Familie. Noch am selben Tag rief mich eine Mitarbeiterin der Stiftung Sonnenschein an und sagte, die Familie würde uns sehr gerne helfen. Die andere Mutter kam extra für einen Austausch zu uns ins Kispi. Obwohl unsere Kinder eine andere Lokalisation des Tumors hatten, folgten die Behandlungen dem gleichen Schema.
Von der Bestrahlung ins Skiweekend
Diese Familie schwärmte von den Anlässen der Stiftung Sonnenschein, und obwohl Finn mitten in der Therapie war, meldeten wir uns für das Skiweekend der Stiftung Sonnenschein an.
Die Zeit der täglichen Bestrahlung war für uns alle besonders herausfordernd. Finn wurde während der Bestrahlung jeden Tag sediert und litt an starker Mukositis, einer schmerzhaften Schleimhautentzündung im Mund. Er konnte oft erst im Laufe des Nachmittags das erste Mal etwas essen.
Der letzte Tag der Bestrahlung war ein Donnerstag, am nächsten Tag startete das Skiweekend. Nach dieser schweren und belastenden Zeit konnten wir das erste Mal wieder in ein Restaurant gehen und in einem Hotel schlafen. Alles war organisiert, wir mussten uns um nichts kümmern. Die medizinische Versorgung war sichergestellt und wir konnten alles sehr geniessen. Unsere kleine Tochter, die auch unter der ganzen Situation gelitten hat und oft zu kurz gekommen ist, durfte sogar in die Skischule und wollte mit dem Skifahren am liebsten nicht mehr aufhören.
Sich verstanden fühlen
Nach dieser positiven Erfahrung meldeten wir uns auch für das Sommerlager der Stiftung Sonnenschein in Valbella an. Es war für uns alle eine sehr erholsame Woche. Finns Blutwerte waren zwar nicht so gut, aber eine Pflegefachfrau vom Kispi war die ganze Zeit anwesend. Sie hat sogar die Chemos für die Kinder im Spital Chur geholt und im Lagerhaus verabreicht. Finn und seine Schwester konnten unter angepassten Umständen endlich wieder in einer grösseren Gruppe mit Kindern spielen und einfach Kinder sein. Wir Eltern waren das erste Mal wieder zusammen Mittagessen, Tennisspielen und konnten eine Massage geniessen. Für uns war vor allem der Austausch mit anderen Eltern sehr wertvoll. Wir haben uns noch nie so verstanden gefühlt wie hier.
Weil er stark ist
Ich fragte damals eine Freundin: «Wieso Finn?», und sie antwortete: «Weil er stark genug ist!». Und so war und ist es auch. Finn ist mit einer unglaublichen Stärke und Leichtigkeit durch das Ganze gegangen, womit er uns mitgezogen hat. Er machte es uns einfach und war nur schon happy, wenn er seine Legos im Spital dabeihatte. Wir Eltern haben gelernt, im Moment zu leben, wie die Kinder. Trotz der vielen Spitalaufenthalte haben wir jeden guten Tag genossen, haben immer versucht, Ausflüge zu unternehmen und schöne Erinnerungen zu schaffen. Ohne Unterstützung hätten wir das aber nie gemeistert. Sei es aus der Familie, von Freundinnen, Freunden und Bekannten oder durch das Kinderspital Zürich und die Stiftung Sonnenschein. Dafür sind wir sehr dankbar!




Unser Sohn geht nun in die erste Klasse, trotz wöchentlicher Chemo in der Erhaltungstherapie, und unsere Tochter in den ersten Kindergarten. Es ist wieder etwas Normalität eingekehrt. Wie schön das sein kann, weiss man erst, wenn man es verloren hat. Bald steht für Finn das nächste MRI an. Dann erfahren wir, wie es weitergeht.
Finns Mutter, im November 2024
In der Schweiz erkranken jährlich über 300 Kinder an Krebs. Lassen Sie uns Familien wie jener von Finn helfen, indem wir ihnen Rückhalt geben und Lichtblicke schenken. Gemeinsam können wir Grosses bewirken für krebskranke Kinder und ihre Familien. Herzlichen Dank für Ihre wertvolle Unterstützung!